25 Dollar für eine Kalaschnikow on Demonstrations in Egypt
Im Jemen hat eine junge Elite ihren Herrscher satt. Sie protestiert ohne Gewalt — aber wie lange noch? Sanaa. Eine Woche ist es her, dass in der Hauptstadt von Jemen Zigtausende Demonstranten auf die Stra?e gingen, darunter viele Studenten: Sanaas junge Elite demonstrierte. Deren V?ter h?tten es nicht hingenommen, wenn ihre Kinder von bewaffneten Staatskr?ften bedr?ngt worden w?ren. Auch deshalb ging der Tag friedlich vonstatten. Aber Hunderttausende einfache Bewohner von Sanaa blieben den Stra?en fern. Das hat seine Gründe. Anzeige Wenn es bei den Demonstrationen in Sanaa wochenlang nicht zu Gewalttaten gekommen ist, dann liegt es, einem verbreiteten Vorurteil zum Trotz, nicht vor allem daran, dass die M?nnerwelt von zwei Uhr nachmittags an mit Kat-Kauen besch?ftigt ist. Es liegt auch nur zum Teil daran, dass die meisten Jemeniten islamisch-konservativ sind und Politik für etwas halten, was sich im Fernsehen abspielt. Der Grund ist, dass die entscheidenden Stammesführer nicht zu den Waffen gerufen haben. Kein arabisches Land ist so arm wie der Jemen. Aber eine Kalaschnikow ist dort für nur 25 Dollar zu haben. Und jeder, der auf sich h?lt, besitzt wenigstens eine Schusswaffe. Wenn ein Scheich ruft, wenn ein Sippenchef seine Leute mobilisiert – das gilt für das gesamte Land –, dann nutzen die M?nner die ersten zwei Phasen der Kat-Wirkung. Jemeniten gelten als tapfere K?mpfer. Auch im Jemen gilt jetzt die neue Zeitrechnung: vor Tunesien oder nach Tunesien. »Tunesien ist passiert«, sagte Scheich Hamid al-Ahmar Mitte Januar bei einem vertraulichen Gespr?ch mit einer Delegation von EU-Botschaftern. Seitdem sei »alles anders«. Hamid al-Ahmar ist einer der vielen S?hne des 2007 verstorbenen Scheichs Abdullah bin Hussain al-Ahmar. Wenn im Jemen von einem Mann die Rede ist, dann muss man wissen, mit wem er verwandt ist: Das ist entscheidend. Der verstorbene Vater war, mit den Worten eines westlichen Diplomaten, »der Pr?sident der Herzen«. Scheich Abdullah war Gründer und Chef der wichtigsten Oppositionspartei, der islamischen Islah. Sein Ansehen war so gro? wie sein Reichtum – und dafür sorgte auch Pr?sident Ali Abdullah Saleh, der wusste, dass er sich diesen m?chtigsten aller Stammesführer gewogen halten musste. Nicht zuf?llig wurde Scheich Abdullah die Lizenz für den Aufbau des Handynetzes im Jemen übertragen. Sichere Einkommensquellen und lukrative ?mter sind in dem Land als Pfründen zu verstehen, die der Staatschef verteilt, wie einst Europas feudalistische Herrscher ihren Vasallen lukrative Di?zesen übertrugen Bei dem Treffen mit Hamid al-Ahmar wollten die EU-Botschafter also wissen, wie er sich die Zukunft vorstelle. Werde er vielleicht im Interesse der Stabilit?t nun doch Pr?sident Salehs Vorschlag zustimmen, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden? Saleh merkt seit Langem, dass seine Macht vergeht. So hofft er, sie noch eine Weile zu erhalten. Die Frage wurde von den Diplomaten auch deshalb gestellt, weil Hamid al-Ahmars Privathaus »eine Festung mit Wachtürmen« ist. »Ich m?chte nicht wissen«, sagte einer der Diplomaten, »was in den Kellern an Waffen lagert. Wenn Hamid al-Ahmar ?rger sucht, dann brennt halb Sanaa.« Aber nein, habe Hamid al-Ahmar den Anwesenden versichert: Er wolle kein zweites Tunesien. Wenn er sich nun aber ohne Zugest?ndnisse von Saleh vor den Wahlen im kommenden April konziliant g?be, dann würden seine Anh?nger ihm nicht mehr glauben. Dann seien sie auch für ihn und seine Partei nicht mehr kontrollierbar. Das beruhigte die Europ?er ein wenig. Was sich nach dem Gespr?ch mit den EU-Botschaftern auf Sanaas Stra?en abspielte, entsprach Hamid al-Ahmars Konzept: Zigtausende demonstrierten, aber sie griffen nicht zu ihren Waffen. Al-Ahmar und andere hatten ihre Gefolgsleute nicht gerufen. Pr?sident Saleh sah sich gleichwohl in die Ecke gedr?ngt. Er hat auf die Demonstrationen reagiert, wie er immer gehandelt hat, seitdem er 1978 im Nordjemen die Regierung übernahm, seitdem er im 1990 wiedervereinten Nord- und Südjemen Pr?sident ist: Er versucht, seine Gegner zu kaufen. Anders als Hamid al-Ahmar kommt er aus einfachen Verh?ltnissen. Er ist Analphabet. Bis zum heutigen Tag kann er die Vorlagen seiner Mitarbeiter nicht lesen. Er regiert als Feudalist, wie es in früheren Zeiten üblich war. Seine Politik ist seit drei?ig Jahren eine Mischung aus Repression und Bestechung. Der Armee versprach er nun bessere Geh?lter, der Bev?lkerung Steuersenkungen. Letzteres kann in einem Land, in dem die H?lfte der Bewohner keine zwei Euro am Tag verdient, wenig Eindruck machen. Viele Jemeniten haben die Ereignisse in Tunesien und ?gypten nicht gebraucht, um ihre Regierung zu hassen. Die Menschen im Norden, die nicht zum Hashid-Stammesverbund geh?ren, dem Saleh entstammt, sind von der Regierung str?flich vernachl?ssigt worden. Das Gleiche gilt für die Region Hadramaut. Und in der südlichen Stadt Aden trauern viele der sozialistischen Regierung vor 1990 nach, die zwar auch ungerecht war, sich aber immerhin um Bildung und medizinische Versorgung kümmerte Anstatt die satteren Jahre dafür zu nutzen, die Infrastruktur zu verbessern, eine medizinische Versorgung aufzubauen und Schulen einzurichten, hat Pr?sident Saleh die Einkünfte des Landes dazu verwendet, alle ma?geblichen Kr?fte zu bestechen. Dazu geh?rt übrigens auch der Westen. Seit Langem argumentiert die jemenitische Regierung, man sei auf westliche Finanzhilfe angewiesen, weil man anders – leider – Organisationen wie al-Qaida nicht im Zaum halten k?nne. Da man im Jemen wei?, worauf es dem Westen ankommt, hat man 2003 ein Ministerium für Menschenrechte gegründet. Die Ministerin, Huda al-Ban, erkl?rte: »Politische Gefangene gibt es im Jemen nicht.« Auch unliebsame Journalisten würden nicht eingesperrt, bedauerlicherweise gebe es aber unter ihnen auch »Kriminelle Die jungen Leute, die jetzt in Sanaa demonstrierten, repr?sentieren nicht die Bev?lkerung. Das Gros der Bev?lkerung ist damit besch?ftigt, ihr t?gliches Brot zu erwerben. Aber natürlich gibt es viele junge M?nner ohne jede Ausbildung, deren Chance, sich zu beweisen, einzig darauf beruht, dass sie eine Kalaschnikow besitzen. Die 25 Dollar dafür kann ein jeder irgendwie auftreiben.
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